„Eine einzige Notfallpraxis für 433.000 Menschen im Kreis ist gewagt“

Bildunterschrift: 24 Stunden an 365 Tagen: Die Notaufnahmen der Rems-Murr-Kliniken in Winnenden und Schorndorf sind rund um die Uhr besetzt, um Menschen im Notfall zu helfen. Foto: RMK

Landrat, Rems-Murr-Kliniken und Oberbürgermeister nehmen Stellung zum Plan der Kassenärztlichen Vereinigung, zwei KV-Notfallpraxen im Kreis dauerhaft zu schließen / Klinik-Notaufnahmen in Winnenden und Schorndorf gewährleisten Versorgung rund um die Uhr

Winnenden/Schorndorf. Die Pläne der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) zur Zukunft der Notfallpraxen im Rems-Murr-Kreis liegen nun auf dem Tisch, und sie bedeuten einen harten Einschnitt in die von 2017 bis Herbst 2023 perfekt funktionierende sektorenübergreifende Notfallversorgung der Bürgerinnen und Bürger: Die KVBW will „den ärztlichen Bereitschaftsdienst im Rems-Murr-Kreis neu strukturieren. Auf Dauer wird der Bereitschaftsdienst in der Bereitschaftspraxis am Rems-Murr-Klinikum Winnenden konzentriert“, heißt es in einer Mitteilung der KVBW mit folgenden Konsequenzen: „Damit wird die bisherige Notfallpraxis in Schorndorf nicht wiedereröffnet und die Praxis in Backnang langfristig nicht weiterbetrieben.“ 

Der Neuregelung vorausgegangen war die Reaktion der KVBW, die ein Urteil des Bundessozialgerichts am 24. Oktober 2023 zum Anlass nahm, die freiberuflich beschäftigten sogenannten Poolärzte im Bereitschaftsdienst abzuschaffen: Die KV-Notfallpraxis in der Rems-Murr-Klinik Schorndorf wurde deshalb geschlossen, die Notfallpraxis am Rems-Murr-Klinikum Winnenden reduzierte die Öffnungszeiten und strich ihren chirurgisch-orthopädischen Dienst. Daran hatten der Landrat und die Rems-Murr-Kliniken öffentlich Kritik geäußert und die KVBW unter anderem in Briefen und Gesprächsrunden wiederholt aufgefordert, die Notfallpraxis Schorndorf wiederzueröffnen, und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

„Ich möchte noch einmal in aller Deutlichkeit formulieren, dass ein Konzept ohne Notfallpraxen am derzeit in Ausbau befindlichen Klinikstandort Schorndorf und dem für die Flächenversorgung wichtigen Standort Backnang für mich noch kaum vorstellbar ist“, schrieb Landrat Dr. Richard Sigel Mitte März erneut in einem Brief an die Kassenärztliche Vereinigung. „Ich halte es mit Blick auf eine gute medizinische Versorgung für gewagt, davon auszugehen, dass für 433.000 Menschen eine einzige Notfallpraxis, wenn auch mit verstärkter Besetzung, ausreichen wird.“ 

Landrat Dr. Sigel, Aufsichtsratsvorsitzender der Rems-Murr-Kliniken, dem ebenso wie den Kliniken weiterhin an einer konstruktiven Lösung für alle Seiten gelegen ist, fordert die KVBW daher auf, die Überlegungen zur Neuregelung des Bereitschaftsdienstes auch der Gesundheitskonferenz im Rems-Murr-Kreis darzulegen: „Somit kann diese das Thema mit Blick auf die ambulante Versorgung ebenfalls bewerten.“ 

Klinik-Geschäftsführer André Mertel weist darauf hin, dass die dauerhafte Schließung von gleich zwei Notfallpraxis-Standorten in Schorndorf und Backnang dazu führen wird, dass die Patientenzahlen in den Notaufnahmen der Rems-Murr-Kliniken noch stärker steigen werden. „Wir verzeichnen in der Klinik-Notaufnahme Winnenden seit Schließung der KV-Notfallpraxis in Schorndorf bereits jetzt einen Zuwachs von 2.000 Patientinnen und Patienten binnen drei Monaten – hochgerechnet sind das 8.000 ambulant zu versorgende Notfälle mehr im Jahr. Das führt zu einer erheblichen Mehrbelastung des Klinikpersonals. Aufgrund der Schließung der unfallchirurgischen KV-Praxis in Winnenden musste in der Unfallchirurgie Winnenden ein zusätzlicher Bereitschaftsdienst etabliert werden, deren Kosten aktuell der Kreis und die Kliniken tragen, weil dieser Dienst nicht über die Ambulanz-Pauschale finanziert ist – ebenso wenig wie die zusätzlichen Kurzschichten der Medizinischen Fachangestellten. Die Kliniken bleiben somit auf den Kosten sitzen.“

Ebenfalls stark ausgelastet ist die Klinik-Notaufnahme Schorndorf, die die Schließung der Notfallpraxis direkt vor Ort 24 Stunden lang an sieben Tagen in der Woche nach besten Kräften ausgleicht und rund um die Uhr Hilfesuchende betreut: Dort wurden seit Herbst 2023 im Schnitt 30 Prozent mehr Patientinnen und Patienten versorgt. „Das ist eine nicht dauerhaft tragbare Mehrbelastung unserer Mitarbeitenden“, konstatieren Sigel und Mertel. „Denn natürlich werden wir das Angebot der Klinik-Notaufnahme Schorndorf auch weiterhin im Sinne einer guten Notfallversorgung der Bürgerinnen und Bürger aufrechterhalten und damit unsererseits den Versorgungsauftrag voll erfüllen, sowohl in Winnenden als auch in Schorndorf. Allerdings erwarten wir auch hier ein Signal der Kassenärztlichen Vereinigung, wie der erhebliche Mehraufwand der Rems-Murr-Kliniken in der Notfallversorgung zukünftig strukturell, personell und finanziell kompensiert werden soll.“ 

75.000 Notfälle versorgen die Rems-Murr-Kliniken pro Jahr an beiden Standorten bereits jetzt, und zwar seit 2017 im äußerst erfolgreichen sogenannten Ein-Tresen-Modell. Dieses Modell dient aktuell sogar in der Krankenhausreform als Vorbild für die sektorenübergreifende Notfallversorgung, das bundesweit flächendeckend ausgerollt werden soll. So wurde der Aufbau sogenannter Integrierter Notfallzentren (INZ) an Kliniken der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung von der Regierungskommission explizit empfohlen. Solche INZ sollen aus einer Notaufnahme des Krankenhauses, einer KV-Notfallpraxis sowie einem „Tresen“ als zentrale Entscheidungsstelle bestehen, um Patientinnen und Patienten durch bedarfsgerechte Steuerung den richtigen Strukturen zuzuweisen – entweder der Notaufnahme des Krankenhauses oder der Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung. Die Beteiligung sowohl der Kassenärztlichen Vereinigungen als auch der Krankenhäuser ist verpflichtend. Das soll sicherstellen, dass die Lasten gleich verteilt werden.

Vorausschauend hatten die Rems-Murr-Kliniken bereits vor Jahren genau diese Struktur des Ein-Tresen-Modells und der gemeinsamen Ersteinschätzung aufgebaut. Mit der Schließung der KV-Notfallpraxis am Krankenhaus Schorndorf endet dieses Zukunftsmodell, und die KV Baden-Württemberg konterkariert somit den politischen Willen der Regierungskommission.

„Um den Prozess zurück zu einer guten medizinischen Notfallversorgung im Rems-Murr-Kreis im oben beschriebenen Sinne sachlich und konstruktiv zu begleiten, wäre es mir daher ein Anliegen, wenn Sie die konzeptionellen Überlegungen Ihrer Pläne für den Rems-Murr-Kreis mit Zahlen und Daten hinterlegen könnten“, fordert Landrat Dr. Sigel die KVBW daher in seinem Schreiben auf. „Für uns ist es im Interesse der Bürgerinnen und Bürger wichtig, wie die Sicherstellung des Versorgungsauftrags ausgehend von den bisherigen Patientenzahlen konkret abgebildet werden soll.“ 

Dass die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger über den hausärztlichen Notfalldienst weiterhin sichergestellt werden muss, ist auch den Kommunen im Kreis ein Anliegen. Insbesondere die beiden Oberbürgermeister der von der geplanten Schließung der KV-Notfallpraxen betroffenen Kreisstädte Schorndorf und Backnang finden die Pläne der KVBW daher ebenso inakzeptabel wie der Landrat und die Kliniken. Der Backnanger Oberbürgermeister Maximilian Friedrich betont: „Die Hausarztversorgung im Großraum Backnang ist ohnehin bereits angespannt. Daher kann ich es als Oberbürgermeister nicht akzeptieren, dass man in Backnang nun auch noch die Notfallpraxis schließen will. Es wäre bedauerlich, wenn durch die neuen Vorgaben und Vorstellungen des Bundesgesundheitsministers künftig Notfallpraxen nur noch an Klinikstandorten möglich wären und dies Backnang zum Nachteil gereicht. “ 

Für Schorndorf schließt sich Oberbürgermeister Bernd Hornikel umfänglich den Argumenten der Rems-Murr-Kliniken an: „Ich bin froh, dass die Klinik Schorndorf in ihrer Notaufnahme eine Patientenversorgung rund um die Uhr leistet. Gleichzeitig enthebt das die Kassenärztliche Vereinigung nicht der Verantwortung, ihren Teil dazu beizutragen, dass Schorndorf als Große Kreisstadt mit entsprechendem Einzugsgebiet auch wieder einen funktionierenden ärztlichen Bereitschaftsdienst bekommt. Ein endgültiges Nein zur Wiedereröffnung der Notfallpraxis wäre daher ein harter Einschnitt und sollte nochmals überdacht werden.“   

Und Winnendens Stadtoberhaupt Hartmut Holzwarth merkt zu den KV-Plänen an: „Obwohl sich die zentrale KV-Notfallpraxis im Rems-Murr-Kreis künftig in Winnenden befinden würde, habe ich als Standort-OB ebenfalls erhebliche Bedenken, ob ein einziger Standort für die Versorgungssicherheit von 433.000 Menschen wirklich ausreichend wäre.“

Die (noch) aktuellen Notfallpraxis-Zeiten im Rems-Murr-Kreis

Notfallpraxis Backnang

Montag bis Freitag: 18.00 bis 21.00 Uhr

Samstag, Sonntag, Feiertage: 8.00 bis 20.00 Uhr

Notfallpraxis Winnenden (im Rems-Murr-Klinikum Winnenden):
Montag, Dienstag, Donnerstag: 18.00 bis 22.00 Uhr

Mittwoch, Freitag: 14.00 bis 22.00 Uhr
Samstag, Sonntag, Feiertage: 8.00 bis 15.00 Uhr und 15.00 bis 22.00 Uhr
Die chirurgische und orthopädische Notfallpraxis wird geschlossen. Die Kinder-Notfallpraxis bleibt wie gewohnt geöffnet.

Die Notaufnahme im Rems-Murr-Klinikum Winnenden ist auch zukünftig 365 Tage und 24 Stunden täglich für Notfälle geöfffnet.

Notfallpraxis Schorndorf (in der Rems-Murr-Klinik Schorndorf):
Diese kassenärztliche Notfallpraxis ist geschlossen. 

Die Notaufnahme in der Rems-Murr-Klinik Schorndorf ist auch zukünftig 365 Tage und 24 Stunden täglich für Notfälle geöfffnet.

Wann sollten Sie die Notfallpraxis aufsuchen?
Wenn Sie nachts, am Wochenende oder an Feiertagen einen Arzt brauchen und aufgrund der Beschwerden nicht bis zur nächsten Sprechstunde Ihres Hausarztes warten können. Die Notfallpraxen kümmern sich um Menschen mit Erkrankungen, die nicht bis zur nächsten regulären hausärztlichen Sprechstunde warten können. Infos unter Tel. 116117, https://www.notfallpraxis-rems-murr.de/ oder https://www.116117.de

Wann sollten Sie die Notaufnahme in der Klinik aufsuchen?
Die Notaufnahme der Klinik ist für dringliche, unaufschiebbare Notfälle zuständig.

Informationen dazu finden Sie unter https://www.rems-murr-kliniken.de/service/im-notfall.html 

Wann müssen Sie sofort die Notruf-Tel. 112 des Rettungsdienstes anrufen, der Sie in die Klinik-Notaufnahme bringt?

In lebensbedrohlichen Fällen und bei akuter Gefahr bitte Tel. 112 wählen. 

Weitere Informationen über die Rems-Murr-Kliniken finden Sie im Internet auf www.rems-murr-kliniken.de und in den Social-Media-Kanälen FacebookInstagram und YouTube.