Vom Umgang mit Demenz – was Klinikärzte erleben und raten

Mathias Hahn (Schorndorf) und Ellada Heidebrecht (Winnenden) leiten die Geriatrischen Abteilungen der Rems-Murr-Kliniken. Foto: © RMK

Ellada Heidebrecht und Mathias Hahn leiten die Geriatrie (Altersmedizin) der Rems-Murr-Kliniken in Winnenden und Schorndorf / Gespräch zur Woche der Demenz, 18.–24.09.2023

Winnenden / Schorndorf. Wer Menschen mit Demenz kennt, pflegt oder rund um die Uhr betreut, weiß um die Herausforderung bei Tag und bei Nacht: Sie verstehen vieles nicht, vergessen schnell und können oft nicht mehr begreifen, dass man ihr Bestes will. Besonders groß wird die Herausforderung, wenn demente Patientinnen und Patienten wegen anderer Erkrankungen stationär ins Krankenhaus müssen. Dann ist neben medizinischer Fachkompetenz viel Erfahrung und Gefühl in der Betreuung gefragt. Warum bei dementen Menschen Verständnis, Wertschätzung und Freundlichkeit besonders wichtig sind, erzählen Ellada Heidebrecht, Leitende Oberärztin Sektion Geriatrie im Rems-Murr-Klinikum Winnenden, und Mathias Hahn, Leitender Arzt Geriatrie in der Rems-Murr-Klinik Schorndorf.

Wie oft haben Sie in der Geriatrie der Rems-Murr-Kliniken mit Menschen zu tun, die an Demenz leiden?
Mathias Hahn: Häufig. Demenzerkrankungen begleiten uns in im Stationsalltag auf Schritt und Tritt, und zwar in der ganzen Bandbreite von milden kognitiven Veränderungen bis zu massiven kognitiven Einschränkungen. Bei Verdacht auf kognitive Beeinträchtigungen testen wir unsere Patientinnen und Patienten mit Hilfe des sogenannten MiniMentalStatus. So bekommen wir Klarheit und können auf die Demenz im täglichen Umgang besondere Rücksicht nehmen. Unter den Patientinnen und Patienten, die wir aktuell zum Beispiel in der Geriatrie in Schorndorf betreuen, haben wir bei dreien eine schwere kognitive Beeinträchtigung festgestellt, vier haben eine mittelschwere und fünf eine leichte kognitive Beeinträchtigung. Vier Menschen haben keine kognitive Beeinträchtigung.

Welche Rolle spielt das Alter, wann tritt Demenz typischerweise ein?
Ellada Heidebrecht: Je älter die Menschen werden, desto höher ist das Risiko für Demenzerkrankungen. Während in der Altersgruppe der 65- bis 70-Jährigen weniger als drei Prozent an einer Alzheimer-Demenz erkranken, ist im Alter von 85 Jahren ungefähr jeder Fünfte und ab 90 Jahren bereits jeder Dritte betroffen.

Wie stellen Sie sich in den Rems-Murr-Kliniken in der Behandlung und Pflege auf demente Menschen ein?
Mathias Hahn: Eine Demenz als chronische Erkrankung erschwert häufig die Therapie der Akuterkrankungen, weil es zu Compliance-Problemen kommt. Das bedeutet: Wir können bei den Patienten nicht auf die Bereitschaft zählen, bei der Behandlung mitzuwirken. In der Geriatrie ist es uns deshalb wichtig, dass wir alle Mitarbeitenden im Umgang mit Demenzkranken regelmäßig professionell schulen. Deshalb bieten wir zum Beispiel 14-tägig das „Update Geriatrie“ an, eine interne Fortbildung zu aktuellen geriatrischen Themen. Bei diesem Angebot ist die Demenz das Thema, über das bisher am häufigsten referiert und diskutiert wurde. Wir schulen aber nicht nur regelmäßig das Therapeutische Team, sondern helfen während des Bedside-Teachings, also beim Umsetzen theoretischer Lerninhalte direkt am Patientenbett, und schulen auch die Angehörigen in Vorträgen und mit Beratungen während des Krankenhausaufenthalts.

Arbeiten Sie bei der Behandlung von Demenzpatienten mit anderen Stationen zusammen oder auch mit Einrichtungen außerhalb der Kliniken?
Mathias Hahn: Wir pflegen eine enge Zusammenarbeit mit allen bettenführenden Fachabteilungen in unseren Kliniken, und zwar interdisziplinär sowie multiprofessionell. Dabei beraten wir mit unserer geriatrischen Kompetenz, auch mit Hilfe von Vorträgen und Fortbildungen für Ärzte, Pflege, Therapie. Im Rems-Murr-Klinikum Winnenden arbeiten wir außerdem mit dem psychiatrischen Dienst des benachbarten Zentrums für Psychiatrie zusammen.

Welche besonderen Ansprüche stellen demente Patienten denn grundsätzlich an ihre Betreuenden im Krankenhaus?
Ellada Heidebrecht: An Demenz erkrankte Menschen reagieren gerade in einer fremden Umgebung wie in einem Krankenhaus oft mit Angst und Unruhe. Manche versuchen wegzugehen und die Klinik zu verlassen. Demenz bringt mit sich, dass Patientinnen und Patienten keine Krankheitseinsicht haben und meist auch keine Auskunft über sich, ihre Beschwerden und Wünsche geben können. Deshalb können sie bei Diagnosestellung, Behandlung und Körperpflege wenig mitwirken. Meist haben sie Probleme beim Essen und Trinken und brauchen Unterstützung. Das Wichtigste ist deshalb, dass wir diesen Menschen Wertschätzung und Freundlichkeit entgegenbringen. Und zwar bei allem, was wir mit ihnen tun, von Körperpflege, Ernährung und Medikamentengabe bis hin zu Therapien und Anwendungen. Wir möchten dementen Menschen ganz besonders das Gefühl geben, dass wir es gut mit ihnen meinen, und nichts verlangen, was sie wegen ihrer Demenz nicht mehr tun können. Wir machen ihnen ihre Krankheit nicht zum Vorwurf, sondern helfen ihnen, sich soweit möglich auf einfachem Niveau zu orientieren.

Welche speziellen Therapie- und Begleit-Angebote machen Sie?
Ellada Heidebrecht: Die besondere Bedeutung der Geriatrie liegt in der teamintegrierten Behandlung der Patienten, die meist multimorbid sind. Das heißt, verschiedene Erkrankungen mit entsprechenden körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen kommen zusammen. Weil auch die sozialen Umstände oft herausfordernd sind, ist die Behandlung bei jedem Patienten einzigartig und komplex. Um dem gerecht zu werden, ist eine Zusammenarbeit mehrerer Berufsgruppen nötig, die wir als geriatrisches multiprofessionelles Team bezeichnen. Dazu gehören Ärzte, Pflegefachpersonal, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen, Sozialarbeiter, Ernährungs- und Diabetesberater.

Ist die Krankheit für Betroffene, Angehörige und Betreuende inzwischen so händelbar geworden, dass alle gut damit leben können?
Mathias Hahn: Demenz ist immer noch eine große gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen. Aber wir haben inzwischen in der Medizin viele wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse gesammelt und auch bei uns in den Kliniken viele praktische Erfahrungen gemacht. Daraus schöpfen wir Konzepte und Tipps, die wir im Alltag hilfreich einsetzen können, bis die uns anvertrauten Patientinnen und Patienten hoffentlich rasch wieder gesund in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren können.

Welche Tipps können Sie davon auch Angehörigen für den Umgang mit dementen Patienten auf den Weg geben?
Ellada Heidebrecht: Versuchen Sie, das erkrankte Familienmitglied möglichst häufig im Krankenhaus zu besuchen. Wechseln Sie sich dabei mit anderen Angehörigen und weiteren vertrauten Personen ab. Bringen Sie vertraute Bilder mit, die Sie in der Nähe des Bettes platzieren. Ich finde diese drei Tipps des Augsburger Demenzberaters und Humortherapeuten Markus Proske sehr hilfreich, denn er empfiehlt, erst mal Ruhe zu bewahren und sich beraten zu lassen:
Tipp 1
Menschen mit Demenz brauchen Bernhardiner, keine Pinscher. All die Attribute, die wir einem Bernhardiner zuschreiben, wären auch im Umgang mit einem an Demenz erkrankten Menschen sehr hilfreich. Ein Pinscher, so unruhig wie dieser ist, wäre einfach ein No-Go.
Tipp 2
Leute, macht langsam, es pressiert: Wenn es schnell gehen muss, musst du langsam sein. Ein Demenzkranker braucht deutlich länger als wir, um Informationen zu verarbeiten. Und die Zeit muss man ihm lassen.
Tipp 3
Unterstütze mich, damit ich es so lange wie möglich noch selbst tun kann.

Haben Sie selbst etwas aus dem Umgang mit dementen Menschen gelernt?
Mathias Hahn: Dass uns Wertschätzung, Freundlichkeit und Geduld immer weiterbringen. Und dass wir unsere Erwartungen nicht zu hoch hängen dürfen: Weniger ist häufig mehr im Umgang mit Menschen, die uns nicht mehr so gut verstehen können.
 

Info: Demenz in Zahlen

Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben in Deutschland derzeit rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Das entspricht 2,25 Prozent der Bevölkerung. Die meisten von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Die Zahl der Betroffenen nimmt mit dem Alter zu und könnte laut Schätzungen bis 2050 auf bis zu 2,8 Millionen steigen.

Kontakt zu den Geriatrie-Schwerpunkten der Rems-Murr-Kliniken

An beiden Standorten in Winnenden und Schorndorf kümmern sich Geriatrische Fachteams aus speziell geschultem Pflegefachpersonal, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, Sozialdienst sowie Konsiliarärzten anderer Fachabteilungen um ältere und hochbetagte Patienten, die aufgrund multipler Begleiterkrankungen in ihrer Selbstständigkeit und Mobilität bedroht sind. Ziel der Altersmedizin ist es, die Selbstständigkeit der Patienten zu erhalten, damit sie ihren Alltag im gewohnten Umfeld möglichst lange selbstständig und unabhängig bewältigen können.

Geriatrie Winnenden:
https://www.rems-murr-kliniken.de/medizin/winnenden/gastro-innere-geriatrie/unser-team-gastro-wi.html, E-Mail: ellada.heidebrecht@rems-murr-kliniken.de

Geriatrie Schorndorf:

https://www.rems-murr-kliniken.de/medizin/schorndorf/gastroenterologie-allgemeine-innere-medizin-und-geriatrie.html, E-Mail: mathias.hahn@rems-murr-kliniken.de